!MARCS young electronic magazine
AUSGABE: November 2005

URL: http://marcs-online.de/scripts-l1/fokus.phtml?ausgabe=2005-11-01&id=7082


Rubrik: STUFF

KURZGESCHICHTE: Über das Es, Lea & Felicia

"Das Schlimmste ist das Aufwachen. Wenn ich morgens aufwache fühlt es sich wie sterben an."


"Und wie läuft es?" frag ich nach einer sehr langen Pause und bestimmt schon zum vierten Mal.
"Es? Ja, es läuft gut" sagt sie und betont das 'Es' so seltsam, dass ich sie fragend anschaut. Sofort bereu ich meinen fragenden Blick.
"'Es' läuft immer gut. Es' laufen an sich immer gut, verstehst du? Was ist denn dein beschissenes 'Es'? Geht's präziser?" sie schnäuzt sich in ein Taschentuch und wischt mit dem linken Ärmel ihres Pulli eine Träne weg.

Ich will sie Lea nennen. Lea heißt vielleicht "die sich umsonst bemüht" und das passt ziemlich gut zu ihr.

Ich schau ihr zu, wie sie sich auf dem Sofa windet, als ob sie besessen wäre. Am liebsten würde ich wegschauen. Ihre ganzen Bewegungen sehen unkontrolliert und unausgeglichen aus, so, dass es in der Seele weh tut. Der Anblick erinnert mich an den Wellensittich, den ich als Kind hatte. So ein grün-gelber war das, der eigentlich immer fröhlich war und sang, bis er durchdrehte und seinen kleinen Körper gegen den Käfig schlug. Ich machte die Käfigtür auf und er flatterte hinaus. Machte seine Runden im Zimmer bis er spätabends und von alleine zurück in den Käfig flatterte. Dann saß er ruhig auf einem Stock.
Ich glaube, damals haben wir beide begriffen, was es mit der Freiheit auf sich hat.

"Ich befinde mich in einer Identitätskrise. Nichts macht mehr Sinn." sagt die sich umsonst Bemühende. Ich tue so als ob ich durstig wär'. Schenke mir etwas vom Mineralwasser ein, nur damit sie die Traurigkeit in meinen Augen nicht bemerkt. Mein Gesicht verrät mich immer.
"Es ist ja nicht so, dass es früher Sinn gemacht hat. Nur war es anders." Sie zwirbelt eine ihrer dicken schwarzen Locken um ihren Finger.
"Weißt du, dass alles unsinnig ist, ist ja nicht mal so schlimm. Das Schlimmste ist das Aufwachen. Wenn ich morgens aufwache fühlt es sich wie sterben an." Ich nehme ein Schluck Wasser und wende es in meinem Mund hin und her, als ob es Leas Worte wären, die ich anschließend runterschlucke.
Ihre Worte sind wie Salz, das sie auf meine offenen Wunden streut.

Ich würde gern etwas sagen, aber das Gesagte würde nur noch mehr kaputtmachen.

Diesmal gibt es kein Happy End.

Und dann sag ich etwas dummes wie: "Vielleicht lässt du deinen Namen ändern? In Felicia?" Was soviel wie die "Glückliche" bedeutet.


Autor: Ljuba
Erstellt am: 2005-10-28



!MARCS
young electronic magazine
© 1997 - 2024

Das Copyright dieses Artikels liegt, wenn nicht anders angegeben, beim Verlag oder beim Autor. Nachdruck, Vervielfältigung und elektronische Speicherung bitte anfragen.

kontakt@marcs-online.de