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REPORTAGE: DEN LEBENDEN ZUR MAHNUNG - DEN TOTEN ZUM GEDENKEN mohan: 2003-01-31

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Ein Besuch in der KZ Gedenkstätte Sachsenhausen.


Es war ein kalter Januartag, an dem ich die KZ Gedenkstätte Sachsenhausen bei Berlin besuchte. Das Wetter zeigte sich von seiner unfreundlichen Seite. Irgendwie passte dies aber zu jenem Ort, den ich aufsuchte. Hier wurden Menschen von den Nazis ausgebeutet, misshandelt und umgebracht. Hier offenbarte sich die menschenverachtende Ideologie der Nazis. Das KZ wurde bereits 1933 in einer alten Brauerei als SA-Lager eingerichtet. 1936 wurde es an seinem heutigen Standort errichtet und war bis 1945 in Betrieb. Etwa 100.000 Häftlinge kamen in den Jahren von 1936-45 ums Leben. Die letzten Häftlinge wurden in einem Todesmarsch nach Westen getrieben, die Rote Armee sollte keine Spuren der Naziverbrechen vorfinden. Dabei kamen nocheinmal hunderte Häftlinge ums Leben.

"Arbeit macht frei" so steht es noch heute im Eingangstor, Zynismus pur. Irgendwie wirkte der ganze Ort gespenstisch, nach dem Tor kam ich auf den ehemaligen Appellplatz. Heute fehlen die ihn früher begrenzenden Häftlingsbarracken. Heute wird er von einer Art Gedenkwand begrenzt, in die ihre Vorderseiten integriert sind. Auf diesem Platz mussten die Häftlinge allmorgendlich antreten, egal wie das Wetter war. Bestimmt traten sie auch bei so einem kalten Wetter wie bei meinem Besuch an. Nur ich konnte mich warm anziehen, die Häftlinge nicht. Außerdem waren sie durch Schwerstarbeit und Mangelernährung geschwächt. Ich verließ diesen unwirklichen Platz und ging zum Sonderblock der SS. Hier wurden die Häftlinge bei geringsten Vergehen eingesperrt und gefoltert. Dazu gehörten Schläge, Essensentzug oder Pfahlhängen. Bei letzerer Strafe wurden die Häftlinge mit den auf dem Rücken zusammen gebundenen Händen an einem Pfahl aufgehängt. Dies hatte zur Folge, dass die Armgelenke ausgekugelt wurden und die Häftlinge nur noch an den Muskeln hingen, was sehr schmerzhaft war.

Als nächstes ging ich zur jüdischen Barracke. Diese wurde im Originalzustand wieder hergestellt und vermittelt einen guten Einblick in die Lebensbedingungen im Lager. Ihr könnt dort den Waschraum, den Toilettenraum, den Aufenthaltsraum und einen Schlafraum anschauen. Auch hier wurden die Schikanen der Wachmannschaft geschildert, denen die Häftlinge beim Waschen oder beim Gang zur Toilette ausgesetzt waren. Manchmal wurden z.B. die Köpfe in das Duschbecken oder Toilettenbecken getaucht, was teilweise auch zum Tod der Häftlinge durch Ertrinken führte. Kaum vorstellbar, welche Grausamkeiten einem menschlichen Gehirn so entspringen können, wenn man ihm die Möglichkeit dazu gibt. Ergänzt wird dies durch eine Ausstellung zu den jüdischen Häftlingen mit Biographien und Diskrimninierung im Alltag bis hin zur Reichspogromnacht am 9. Novemer 1938. In das Licht der Öffentlichkeit rückte die Barracke 1992 als kurz vor dem Besuch des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Rabin ein Brandanschlag auf die Barracke verübt wurde. Es war die Zeit der rechten Übergriffe auf Menschen und Einrichtungen und die machte nicht einmal vor einer KZ-Gedenkstätte halt. Die Fratze des hässlichen Deutschen drängte mit aller Macht an die Öffentlichkeit.

Mein weiterer Weg führte mich vorbei an Steinsarkophagen zum Lagermuseum aus DDR Zeit. Das KZ Sachsenhausen war von 1956 bis 1990 offizielle Gedenkstätte der DDR. Es war alles noch original erhalten und der kommunistische Widerstand im Lager wurde besonders hervorgehoben. Auch die Formulierungen entsprangen der sozialistischen Staatsideologie. Was die DDR aber ausblendete, war die sowjetische Vergangenheit des Lagers. Nach der Besetzung des Lagers durch die Rote Armee 1945 wurde es bis 1950 als Speziallager der sowjetischen Geheimpolizei NKVD verwendet. Inhaftiert wurden nicht nur Nazis, sondern auch alle anderen missliebigen Personen. So waren z.B. hunderte von 14-15-jährigen Jungen, die im Verdacht standen, Mitglieder in der Organisation "Werwolf", die einen Guerillakrieg vorbereitete gewesen zu sein. Insgesamt kamen während dieser Zeit etwa 10.000 Menschen ums Leben. Diesem Kapitel widmet sich auf dem Gelände heute ein eigene Abteilung im nach der Wende errichteten Neuen Museum.

Letzte Station auf meinem Weg war die Anatomie und das Krankenlager. Hier wurden die kranken Häftlinge keineswegs unbedingt wieder gesund gepflegt. Für viele war es die Vorstation zum Friedhof. Auch medizinische Versuche an Menschen wurden von den Ärzten durchgeführt. Die Leichen wurden im Keller aufbewahrt bevor sie im Krematorium verbrannt wurden. Zuvor wurden ihnen noch, sofern vorhanden, die Goldzähne herausgerissen.

Im KZ Sachsenhausen wurden die dort eingesperrten Häftlinge in SS-eigenen Betrieben auf das Unmenschlichste ausgebeutet. Fast alle Betriebe des SS-Konzerns "Deutsche Wirtschaftsbetriebe" waren an Konzentrationslager angeschlossen, in denen die Häftlinge zur Sklavenarbeit gezwungen wurden. Die unvorstellbare Brutalität der SS wird in folgender "Rentabilitätsrechnung" deutlich, die von zynischen Bürokraten für lebende und tote Häftlinge Sachsenhausens aufgestellt wurde.

Täglicher Verleihlohn eines Häftlings durchschnittlich 6,- RM
abzüglich Ernährung -,60 RM
abzüglich Bekleidungsamortisation -,10 RM
Kosten insgesamt -,70 RM pro Tag
Durchschnittliche Lebensdauer 270 Tage (9 Monate) x 5,30 RM = 1431,- RM

Die Einnahmen, die eine Häftlingsleiche ihnen brachte, wurden in schamloser Weise so aufgerechnet:
  1. Zahngold
  2. Kleidung
  3. Wertsachen
  4. Geld
abzüglich Verbrennungskosten 2,- RM
durchschnittlicher Nettogewinn 200,- RM
Gesamtgewinn nach 9 Monaten 1631,- RM
Zuzüglich ein weiterer Gewinn aus den Knochen und der Aschenverbrennung

Nach der Berechnung der SS brachte das Lager dem Staat einen Gewinn von mindestens etwa 163 Millionen RM (RM = Reichsmark).

Wer mehr wissen will, wie die Häftlinge im KZ Sachsenhausen gelebt haben, für den ist die CD-ROM "Gegen das Vergessen - Häftlingsalltag in Sachsenhausen" von Interesse. Sie entstand in Zusammenarbeit mit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Ihr erhaltet einen ausgiebigen Einblick ins Lagerleben, gespickt mit Dokumenten und Fotos. Zeichnungen von damaligen Häftlingen schildern den Alltag im KZ, und zu dem gehörte auch der Tod. Ergänzt wird das Ganze mit 20 Häftlingsbiographien.


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