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AUSGABE: April 2005


Rubrik: JAM

REPORTAGE: Bissige Satire und raubeiniger Bajuwaren-Folk

Die Mehlprimeln gastierten in Hockenheim und brachten das erschienene Publikum mit ihren bayerischen Folk richtig in Stimmung.


Der Mehlprimel (lat.: primula farinosa) werden in Kreisen von mystischen Heilern große Kräfte zugeschrieben, indem sie alle Körperfunktionen desjenigen, der sie einnimmt, stark verlangsamt – man kann mit ihr angeblich sogar den Tod vortäuschen.

Genau die gegenteilige Wirkung hat Mitte Februar im Hockenheimer Kulturzentrum "Pumpwerk" das Duo "Die Mehlprimeln" bei seinen Zuhörern erzielt: Die Gebrüder Reiner und Dietmar Panitz konnten mit einem hochpotenten Cocktail aus liebevollem Konzert, abwechslungsreichem Liederabend und bissigem Kabarett ein besonders charmantes Programm zusammenbrauen, dessen Heilkräfte sofort wirksam, dessen Wechselwirkungen allerdings noch völlig unerforscht sind – ersten Angaben zufolge soll es aber unter den besonders robusten "Pumpwerk"-Gästen (und nur die waren bedauerlicherweise zur ersten Reihentestung der "Mehlprimeln" an der hiesigen Bevölkerung gekommen) mit Ausnahme von rotlich verfärbten Klatschhänden und manch ähnlich gerötetem Oberschenkel bislang keine weiteren Ausfälle gegeben haben.

Das mag auch an der besonderen Darreichungsform gelegen haben: Im ersten Programmblock ihres rund zweistündigen Abends zogen die beiden Brüder in feinzüngiger, spitzer und bisweilen auch etwas derber Manier in Form eines Breitband-Antimiesepetricums gegen alles her, was politisch Rang und Namen hat, aber auch gegen Jugendwahn, Autokult und Verkehrschaos.

Wenn sie politisch werden, dann erinnern die "Mehlprimeln" in ihrer fast subversiven Art sehr an eine andere bajuwarische Familie: Die "Biermösl Blosn" der Gebrüder Well, über die bei einer Preisverleihung einst geschrieben wurde, dass sie "angesichts solcher Folklore-Verlogenheiten wie Musikantenstadl und Volkstümliche Hitparade aus dem Tal der Verzweiflung führen und beweisen: Nicht jede Familie muss zwangsläufig als Kelly Familie enden".

Entsprechend nahmen Reiner und Dietmar Panitz nicht nur mit "Stadl Explosiv" die telegene Volksmusikneurose aufs Korn, sondern bewiesen in ihren hintersinnigen Lied- und Zwischentexten gehörige Aktualität: Den Politiker-Nebeneinkünften wollen sie im Rahmen eines "Aktentaschen-Mitservices" mit einem speziellen Modell "mit doppeltem Boden und Geheimfächern" begegnen. Der zunehmende Vergreisung unserer Bevölkerung ("die Altrocker werden immer älter") rücken sie mit einem eigens konstruierten Motorrad zuleibe, auf dem dann trotz Bandscheibenproblemen dank Navi selbst der Alzheimerpatient noch den Weg bei künftigen Sternfahrten findet – in die Rheumabäder.

Material geht den beiden, die bereits seit 27 Jahren durch die Lande touren, dabei sicherlich nie aus: "Das einzige, was der kleine Mann im Moment anlegen kann, sind die Ohren".

Im zweiten Programmblock präsentierten sich die "Mehlprimeln" von einer weicheren, einer liebreizenderen, einer virtuoseren Seite. Überhaupt ist es bemerkenswert, dass den Brüdern Panitz ein hohes Maß an musikalischer Klasse zueigen ist, wobei sie sich mit traumwandlerischer Sicherheit in ihrem Metier, das irgendwo zwischen klassischer Volksmusik und raubeinigem Bajuwaren-Folk zu finden ist, bewegen.

So setzt sich Reiner Panitz, der sonst meist die Gitarre spielt, auch einmal zum Hackbrett, um eine kleine "Tafelmusik" zum besten zu geben, oder er streut ein liebreizendes Harfenstückchen ein. Dietmar Panitz findet sich eben an der Gitarre, dann am Bassbariton und kurz darauf auch gerne an der Kindertröte wieder.

So präsentierten sie das Winter-Liebes-Lied "Der Winter soll mein Frühling sein" mit einem zarten Hauch, bringen "Volksmusik für Jugendliche" – mit mehr "Action" oder entführen ins "Hallenbad", wo Urinstimmung am Familientag, Sprudelbäder bei Verdauungsstörungen und "Seekühe" in der schönen Badewelt sofort klar machen, "wie gschlampert unser Schöpfer bei der Schöpfung war".

Nach dem hochkarätigen politischen Einstieg kam dabei zwar der Eindruck auf, dass der zweite Programmteil etwas seicht zu werden drohte, dem gesamten Abend aber tat das gar keinen Abbruch.

So hinterließen die beiden beeindruckenden Künstler in Hockenheim mit ihrer Mischung aus Aufregern und Entspannern ein wohliges Gefühl von Zufriedenheit: "Manche Sachen sind so gut hie gmacht, dass man denkt, die könnt keiner hiemache".

Gastartikel aus unserem Partnermagazin Parnass, www.parnass.scram.de

Autor: parnass
Erstellt am: 2005-02-22