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KRIEGSFRÜHLING emil fertig: 2000-06-13
  Als anno 1928, Anfang 1929, der harte Winter dem Rhein auf seiner gesamten Länge einen Eispanzer verpaßt und sich der Fluß auch in seinem Speyerer Bett eine grandiose Arktislandschaft als starre Decke übergezogen hatte, da mußten die Öfen in der Stadt Hochleistungen erbringen. Von der anfallenden Asche, dem Dreck und Staub der Wärmespender in unserer Wohnung und den Kohlen- und Brikett-Transporten aus dem Keller genervt, beschloß unser Vater, koste es was es wolle, dem nächsten Winter mit einer Warmwasserheizung paroli zu bieten.

Das Jahr 1929 ließ sich finanziell gut an. Eine Erbtante starb und Vater konnte dadurch über dreitausend unerhoffte Reichsmärker verfügen, die dann voll in das Heizungsprojekt investiert wurden. Mein Bruder und ich wurden in die Pflicht genommen und mußten den Heizbedarf Koks morgens und abends mit Fülleimern vom Keller in die Küche transportieren, wo der Heizofen stand. In unserer nun rundherum mollig-warmen Wohnung war der Winter zur erträglichen Sache geworden.

Eines Abends als wir Buben wieder zum Kokstransport bereit standen, Papa aber keinerlei Anstalten machte seine Arbeiten am Heizungsofen zu beginnen, fragten wir unisono: ,,Saach emol Babbe, sollen mir kän Koks ruffhole?" Worauf unser Erzeuger grinsend antwortete: ,,Ja hän ihr Zwää dann noch net gemerkt, daß es Friehling worre is? Draus isses doch schun warm!"

Gegenüber von unserem Haus, drüben an der Ecke zur Zeppelinstraße, grenzte eine hohe, gelblich gestrichene Mauer das Nachbargrundstück ab. Hinter der Mauer, im Garten hatte ein großer, weitverästelter Baum seine Wurzeln im Boden verankert. Es war ein Exote, ein japanischer Trompetenbaum, dessen aufgesteckte Blütenkerzen ein sicheres Indiz für das Kommen des Frühlings waren.

Mörikes Frühlingsgedicht ,,Frühling läßt sein blaues Band...", brauchten wir als Frühlingssignal nicht, zumal wir unter dem ,,Blau Band" etwas ganz anderes verstanden: Das begehrte maritime Band wurde für die schnellste Passagier-Schiff-Überfahrt nach Amerika an die Handelsmarinen der Welt verliehen. Und dieses Band das hatte damals einer von unseren Ozeanriesen, die ,,Europa" oder die ,,Bremen" ergattert.

Ein anderes Frühlings-Signal waren die Speyerer ,,Knoddelbuwe."

Im beginnenden Frühling brauchten die Kleingärtner Dung für ihre Salat- Kraut- und Blumenbeete; den lieferten die vielen in unserer Stadt gehaltenen Pferde. Zur damaligen Zeit war das Pferd noch ein wichtiger, unverzichtbarer Faktor im Transport und Straßenverkehr. Für Transporte aller Art waren die stämmigen Rösser noch nicht ersetzbar und für eine bestimmte Spezies Mensch fand sich das Glück der Erde war nicht auf dem Rücken der Pferde, dafür aber unter ihnen. Die Rößäpfel - "Knoddle" genannt, lagen nie lange auf dem Straßenpflaster. Frisch gefallen wie reifem Obst, waren nicht nur die Spatzen mit ihren bescheidenen Bedürfnissen scharf darauf; weit schärfer auf diese leicht dampfende "Apfelsorte" war die Zunft der Knoddelbuwe.

Jeder Knoddelbu der die von den Kleingärtnern so begehrten Pferdeäpfel sammelte, mußte unbedingt über drei notwendige Ausrüstungsgegenstände verfügen: Der wichtigste Gegemmtand war das "Knoddelwächele"; ein kleinerer oder auch größerer Handwagen. Auch ein aus Kistenbrettern zusammengenagelter Karrem, dessen Räder nicht selten von einen ausgedienten Kinderwagen stamten, war transportgeeignet. Als weitere nötige Requisiten gehörten eine breite Schaufel und ein Besen mit kräftigen Borsten dazu. Die Könner unter den Knoddelsamlern benutzten nur selten einen Besen; sie brachten es fertig mit elegantem Schwung die Pferdeäpfel auf die Schippe zu nehmen. War so ein Knoddelwagen gestrichen voll, dann war er noch lange nicht voll. Es gab unter der Gilde der Knoddelbuwe Künstler, die immer noch mehr auf die Knoddelwächle brachten und dieses Mehr kunstvoll mit ihrer Schaufel in Dachform festklatschten.

Ein Knackpunkt des häuslichen Friedens waren - kaum, daß der Frühling angebrochen war, kaum, daß der Kokstransport eingestellt wurde, kaum, daß der Japanische Trompetenbaum seine Blütenkerzen aufgesteckt hatte, kaum, daß die Knoddelbuwe ihre Knoddelwächle füllten - die "Korze". Beim ersten geäußerten Wunsch, die "korze Hosse" anziehen zu dürfen, erstickte Mutters ablehnendes Gezeter über Schnupfen, Husten und Blasenentzündungen und Vaters kategorisches "Nein", das frühlingshafte Verlangen nach den blanken Knieen:

"Bu, dodefor isses noch zu kalt, du holscht der de Kotzer!" Basta! Aus!

Das mit den "Korze" war überhaupt so eine Sache: "Korze" mußten kurz sein. Unsachgemäße "Kniekitzler", die in den Kiekehlen endeten, waren verpönt. Je kürzer desto besser.

Die fast logische Folge der "Korzen" war das Barfußlaufe. Der Pfarrer Kneipp hätte seine Freude daran gehabt. Was spielte es für ein Rolle, wenn die ganz Eisenharten an kühlen Frühlingstagen morgens bibbernd und zähneklappernd mit blaugefrorenen Füßen in die Schule kamen? Die waren hart im Nehmen!

Als dann der Krieg brutal in unser jugendliches Leben eingriff und wir groß gewordenen Buben in die ,,eiserne Pflicht" genommen wurden, da erlebten wir den eisigen Winter des Ostens. Der Frühling der den ,,General Winter" dort ablöste, war den Soldaten noch weniger willkommen wie die alles erstarren lassende klirrende Kälte.

Frühlingserwachen das war dort im Osten der sich langsam in einen fast unüberwindlichen Schlammbrei der auftauenden Wege und Rollbahnen verwandelnde zähe, tiefe Matsch, der die Fahrzeuge bis zu den Achsen einsinken ließ; ein für mitteleuropäische Menschen unvorstellbarer Straßenzustand, der keine fröhlichen Frühlingsgefühle aufkommen ließ. Keinem Landser wäre es da eingefallen an die Blauband-Verse des guten Mörike zu denken oder sie gar zu zitieren. Die soldatischen ,,Frühlingsverse" waren nicht gesellschaftsfähig.

Doch lassen wir die Gedanken an Krieg und Kriegsfrühling in der Vergessenheit versinken. Lassen wir lieber Mörikes Blaue Bänder flattern.

Meine Frau und ich wir empfinden und erleben auf unsere alten Tage jeden Frühling und sein Ankommen viel bewußter, viel natürlicher auf wundersame immer wieder interessante Weise ganz anders.

Unsere Frühlingsgefühle erleben wir an einem Baggersee. Dort wo die Natur noch einigermaßen in Ordnung ist, wo man in sauberem, glasklaren, ungechlortem Wasser noch mit Genuß schwimmen kann. Dort, wo sich Höckerschwäne, Bläßhühn er, Wildenten, Haubentaucher wohlfühlen und wo sich sogar der schillernde Eisvogel beobachten läßt. Wenn unser Auto vom weißen, klebrigen Samenschnee der Weiden am Parkplatz fast zugedeckt ist, wenn das Schwanenpaar sein kunstloses Nest aus Reisig baut und der Schwanenmann seine Schwänin in wilder Ekstase auf dem Wasser begattet, dann wissen wir, daß sechs Wochen später die Küken aus den Eiern schlüpfen werden. Dann läßt für uns der Schwabe Mörike sein ,,Blaues Band" zwischen weißen Wolkentupfen am azurnen Himmel flattern.

Unsere Frühlingsgefühle, die der jugendlich unbeschwerten Art? Ja doch, die hatten wir auch einmal gehabt. Schön waren sie und sind unvergessen. Doch überlassen wir sie der Erinnerung und dem grammatikalischen Plusquamperfekt, der besonderen Zeitform der Vergangenheit. Diese, unsere Frühlingsgefühle von ehedem, gehen nicht mal den Herrn Mörike etwas an.




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